Ich glaube, nein - ich hab das Gefühl ich muss mich sortieren. Mein Leben in eine gerade Bahn lenken, mich organisieren und ordnen. Das "Erwachsenen-Leben" holt mich wieder einmal ein. Pflichten, Termine, Abgabefristen, Verantwortung. Irgendwie erdrückt es mich. Wann soll man denn dazwischen noch Leben und was bedeutet es eigentlich, zu Leben?
Immer wieder stelle ich mir die Frage was ich denn vom Leben möchte, was ich erreichen will, welche Ziele ich noch habe. Doch eine konkrete Antwort, finde ich nicht. Irgendwie alles, mich weiterbilden - noch studieren, Ärztin werden. Und doch gleichzeitig eine Familie gründen, sesshaft werden und mein Leben leben. Oder mich doch komplett in Luft auflösen und den Wohnort und meine Identität ändern, mich komplett neu erfinden.
Ich glaube, ich bin heute wieder verwirrt.. es war mein letzter Arbeitstag vor meinem Urlaub und meine Gefühle fahren Achterbahn. So Achterbahn, das ich nicht einmal - wie sonst - nach dem Dienst meine Bahnen im Freibad gezogen habe. Eine Bewohnerin wurde durch mich noch eingewiesen, ich weiß auch nicht. Mein Gefühl ist schlecht, doch nicht zu handeln, noch schlechter. Habe Einweisung und Transportschein ausgefüllt, den Transport bestellt und Angehörige angerufen. Immer mit dem Mitschwingenden Gedanken "Sehen wir uns wieder?" - Ich verabschiede mich von ihr, sie nimmt meine rechte Hand in ihre Kalte linke, zieht mich im Rollstuhl sitzend zu sich hinunter, und küsst mich auf meine rechte Wange. Sie weint, hat Schmerzen. Knochenschmerzen, doch viel mehr spüre ich den seelischen Schmerz der sie in diesem Augenblick vollständig einnimmt. Momente, in denen mir mein Herz stehen bleibt. Momente, in denen ich immer wieder weiß, warum ich diesen Beruf ausübe. Warum es meist doch so viel mehr, als ein Beruf ist. Wertschätzung von fremden Menschen, fremden alten Menschen zu erfahren, ist vom Gefühl das überwältigendste das ich bisher kennen lernen durfte. Die Ehre und entgegen gebrachte Wertschätzung zu erhalten, einen Menschen auf seinem letzten Weg begleiten zu dürfen und sich dessen bewusst zu werden übertrifft weitaus jedes Gefühl der Überforderung, des Stresses und dem Leistungsdruck welcher einem aufgedrückt wird.
Sie weint als sie auf die Trage des Rettungsdienstes gelegt wird, kleinschrittig und immer wieder zusammen sackend kann sie eingehakt beim Rettungsdienst und meiner Kollegin gehen. Mein Herz gehört hörte ihr. Nur ihr. Ich hoffe und bete, das wir uns wiedersehen.<3
Die Emotionen nehmen mich noch bei der Heimfahrt ein, überwältigen mich. Es war ein kleiner Abschied, von einem Ort der mich krank gemacht und doch auf besondere Art gleichzeitig heilt. Der vielen Menschen bereits Halt, Hoffnung und doch auch die Möglichkeit gegeben hat, "er / sie selbst zu sein". Akzeptiert und Unterstützt wurde. Fast 10 Jahre. Fast 10 Jahre an einem Ort, viele Emotionen, viele Erlebnisse und Momente die mich schier zur Verzweiflung gebracht haben, vor Wut, vor Trauer.. aber auch vor Glück, Momente in denen mir mehr Wertschätzung, Dankbarkeit und Liebe entgegen gebracht wurde, wie bisher in meinem Leben. Ich lerne, zu lieben und zu leben. Und vom Gefühl her, heile ich. Nicht immer, doch immer öfter!
Für heute, sitze ich hier - auf meiner Couch, mit meinem Laptop und der offenen Balkontür. Es ist kalt draußen und dunkel, das Gefühl des Herbstes macht sich bei dem Wetter in mir breit, es ist Juli und doch bin ich noch lange nicht bereit dafür. Ich lasse zu und versuche zu fühlen. Egal was kommt, es kommt für mich.